Im Internet-Cafe


Es war eines dieser schäbigen Internet-Cafe's in der Nordstadt.
Über die dreckige Holztreppe kam ich zu den PC's
in einen großen verrauchten Raum in der 1. Etage.
"Mach Dir irgendein' Rechner an"
hatte der Marrokaner unten an der Rezeption gesagt.

Ich war ganz allein
und setzte mich an den Platz,
an dem ich den gesamten Raum und die Treppe gut im Blick hatte;
räumte die vollen Aschenbecher und die leeren Zigarettenschachteln weg
und wischte die Asche von der Tastatur.

Heute werde ich es tun !
Der Rahmen war unwürdig genug dafür,
der Zeitpunkt sowieso egal.
Schnell war ich eingeloggt,
die Web-Cam auf dem Bildschirm gegen die Decke gedreht
und der Ton ausgeschaltet.

Er nannte sich "Querlatte",
doch sein Photo bestätigte diesen kreativen Namen nicht.
Ich bot mich ihm an.

"Ich seh' nichts" antwortete er und "dreh ma deine Kamera".
In einem kleinen Kontrollfenster konnte ich sehen,
was er von mir sieht.
Ich drehte die Kamera auf meine Gürtelschnalle
und spielte mit der Hand daran herum.
"Mach auf !" schrieb er nervös und dann: "geil, Alter"

Ich zeigte ihm, was er sehen wollte,
und machte dabei mehr als ich mit mir vereinbaren würde.
Doch das Schicksal nahm seinen Lauf.
Als ich in dem kleinen Kontrollfenster meinen eigenen Vulkanausbruch sah,
kam ich zur Besinnung.
Querlatte war schon verschwunden.

Der Raum wurde dunkler und dreckiger;
ich lehnte mich zurück und spürte mich nicht.
So muß es sein, wenn man sein Leben weggibt.

"Nur ihr wisst jetzt von meinem dunklen Nachmittag"
dachte ich und schaute nach oben in Richtung der Götter.
Und dann sah ich sie: die gnadenlosen Augen der Überwachungs-Kameras;
in jeder Ecke des Raumes, über der Treppe; überall.....

Vielleicht waren sie garnicht an?
Wahrscheinlich speichern die auch nicht alles.
Was ist, wenn ich irgendwann mal Bundeskanzler werden will
und dieser Film kommt an die Öffentlichkeit?
Und wie komm ich jetzt hier raus, ohne an der Rezeption vorbeizugehen?

Nein, es gab - wie immer - kein Entrinnen für mich.
Die Guten müssen ihren Preis sofort bezahlen.

Ich zog meine Jacke langsamer an als sonst, nur um noch Zeit zu gewinnen,
zog den Reisverschluß übertrieben hoch, und ging die Holztreppe hinunter.

Der Monitor der Überwachungs-Kameras war so groß wie ein Fußballfeld
und zu dem Marrokaner hatte sich noch ein zweiter Mann eingefunden.
Beim Bezahlen suchten beide meinen Blick
und schenkten mir ein verständnisvolles breites Grinsen.

Ich habe sie immer gehaßt, diese Männer-Solidarität!

Als wär's gestern gewesen:
"Du bist doch ein Mann, Burkhard"

Ja, sicher........

und jetzt laßt mich Alle in Ruhe.


Burkhard Weisz

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