Für alle unsere Mütter


Sie war 10 Jahre alt
als der zweite Weltkrieg ausbrach.

An die Reichskristallnacht konnte sie sich erinnern,
auch wenn sie nicht verstanden hatte
worum es ging

Sirenengeheule.Luftschutzkeller.
Nach dem Angriff Gelächter.
Schwarz im Gesicht vom Staub der im Keller gelagerten Kohle.
Dem Tode wieder einmal entkommen.

Ihre Kindheit war unterkühlt.
Keine Umarmung vom Vater.
Die Mutter streng. Frau Mutter.

Beim Bund Deutscher Mädchen
von den anderen ausgelacht
wegen der zerschlissenen Unterwäsche.

Dort auch die erste Menstruation
und die Angst davor zu verbluten,
weil sie sich nicht auskannte.

Schön war sie, meine Mutter.
Sie hat gerne gesungen und laut gelacht.
Und sie tanzte gerne.

Ihr Erster war ein Flieger und sie war fünfzehn.

Mein Vater hatte blendent weiße Zähne und saubere Fingernägel.
Er sah gut aus.
Das hat sie beeindruckt.

Er erzählte mir mal,
wenn sie einen Raum betrat,
war der Raum voll.

Aber sie bekam nicht,
was sie brauchte.

Glück schuf sie sich
beim Kauf schöner Dinge,
die noch nicht einmal wirklich schön waren.
Aber für einen kurzen Moment
verschafften sie ihr einen Hauch von Erfüllung.

Sie brauchte es, das die Welt sich um sie drehte.

Und nun dreht sich die Welt weiter,
jedoch ohne sie,
aber mit unseren Erinnerungen.


Gabi Gayk
Gabi Gayk

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