Wintertag
Als ich am morgen aufwachte, war irgendetwas anders als sonst. Die Geräusche, die durch das Fenster herein kamen, klangen nicht wie immer. Es war stiller.
Ich schleppte mich zum Fenster und war plötzlich putzmunter.
Alles war weiß vom Schnee, der in der Nacht in großen Mengen vom Himmel gefallen sein musste, und es schneite immer noch weiter. Schön! dachte ich. Herrlich!
Und ich fühlte mich wieder wie damals, als ich ungefähr fünf war. Zuerst summte ich es nur etwas zaghaft, doch dann brach es aus mir heraus und ich schmetterte aus voller Kehle: Schneeflöckchen Weißröckchen waann kommst du geschneit. Duu wohnst in den Wolken, dein Weg ist so weit.
Spaziergang war angesagt. Also machte ich mich frisch und nach dem Frühstück packte ich mich warm ein und begab mich auf den Weg über die Felder.
Der Schnee war noch ganz frisch und ich fühlte mich wie eine Pionierin, weil ich die erste war, die den Schnee betrat und ihre Fußabdrücke hinterlies.
Zunächst lief ich Schlangenlinie und hatte einen Heidenspaß, als ich mich umdrehte und die Muster begutachtete, die ich hinterlassen hatte. Dann probierte ich es mit rückwärts laufen. Auch nicht übel!
Gut, dass noch nicht so viel los war. Es sah sicher etwas komisch aus als erwachsener Mensch so durch den Schnee zu hüpfen.
Hier auf den Feldern war weit und breit noch kein Mensch zu sehen, und ich dachte, wenn ich ein lautes Juchhu von mir gäbe, könnte es sicher kein Mensch hören. Aber so groß war der Verlust der Selbstkontrolle dann doch nicht und ich beherrschte mich.
Munter stapfte ich weiter und bemerkte, wie anstrengend es doch war durch den hohen Schnee zu gehen. Der Schnee war fest. Man hätte ein Iglu davon bauen können.
Mir fiel ein, dass die Inuit mindestens zwölf Wörter für Schnee kennen sollen und ich dachte, schade, dass ich nur das eine kenne.
Mittlerweile waren auch andere Leute unterwegs. Spaziergänger grüßen sich. Ich sah in rote Gesichter mit strahlenden Augen. Wir waren alle wieder Kinder mit triefenden Rotznasen.
Erinnert ihr euch noch an die sogenannten Schneeengel? Man lies sich einfach auf den Rücken fallen und bewegte Arme und Beine gleichzeitig auf und ab. Ach, wie groß war die Verlockung mich einfach in den Schnee fallen zu lassen.
Was mich letztendlich davon abhielt, war der Gedanke, dass meine Klamotten pitschnass werden könnten und ich mich erkältete. Da hatte sich wohl die große Gabi eingemischt. Der kleinen wäre das niemals passiert. Die hätte sich, ohne Rücksicht auf Verluste einfach in den Schnee gestürzt.
Ein klein wenig frustriert, weil ich mir den Schneeengel verboten hatte, machte ich mich auf in Richtung Heimat. Ich freute mich auf eine Tasse heißen Tee.
Als ich vor unserem Haus ankam und so die schneebedeckte Wiese sah, dachte ich mir, ein Schneemann könnte recht dekorativ sein.
Das war ein Moment, wo ich es bedauerte, dass meine Kinder nicht mehr klein waren.
Mit einem Kind darf man einen Schneemann bauen. Ein Erwachsener, der das tut, wirkt wahrscheinlich eher kindisch.
Etwas unsicher nahm ich etwas Schnee in die Hand und formte einen Ball daraus.Ganz unauffällig legte ich ihn auf den Boden und rollte ihn hin und her, so dass er immer größer wurde. Schließlich war er so groß, dass ich einen prima Unterbau für einen Schneemann hatte.
Die Schwelle war überschritten! War der Ruf erst ruiniert..........
Mittlerweile waren die Handschuhe durchnässt, denn auf solche Aktionen waren sie nicht vorbereitet. Meine Finger waren ziemlich kalt und als ich die Handschuhe auszog, sah ich, dass sie knallrot bis violett gefärbt waren, doch ich arbeitete verbissen weiter.
Da stand er nun in seiner weißen Pracht, der Mann aus Schnee. Nachdem ich ihm mit ein paar Kastanien, einer Karotte und ein paar kleinen Steinen, die aneinander gereiht den Mund darstellten, so etwas wie eine Persönlichkeit gegeben hatte, schaute ich ihn mir voller Stolz und Zufriedenheit an.
Und voller Glück und Übermut lies ich mich in den Schnee fallen.
"Mama, du bist voll peinlich!" hörte ich meine 13jährige Tochter sagen, nachdem sie den Schneemann und den Schneeengel gesehen hatte.
Gabi Gayk