Die Tasche

Die Tasche, die an meiner Schulter hängt, ist schwer vom Papier.
Ich stecke, bevor ich losziehe, immer so um die 500 flyer ein.

Nach zirka 70 Stunden Handzettel verteilen, bin ich schon ein alter Hase auf diesem Gebiet.

Anfangs noch etwas ängstlich, vielleicht auch gehemmt, weil ich das Gefühl hatte, in die Privatsphäre der Bewohner zu dringen, wenn ich mich deren Häusern näherte, gehe ich jetzt munter und forsch darauf zu, mit einem äußerst scharfen und geschulten Blick für Briefkästen.

Ich bin erstaunt über die vielfältigen Ausführungen von Briefkästen und deren Einwurfschlitze.

Zunächst einmal gibt es die ganz schlichten Kästen mit Schlitzen von außen, aber sie erfüllen dennoch ihren Zweck. Die einen klappt man nach oben, wobei man einen kleinen Stapel flyer in der rechten Hand hält und mit dem Zeigefinger die Klappe festhält, indem man seine Hand nach unten dreht und mit der linken Hand den flyer einfach hineingleiten lässt. Nur geht das nicht immer so leicht. Manche Briefkästen haben hinterlistiger weise noch eine Klappe von innen. Da muss man dann etwas nachstopfen, und wenn man nicht aufpasst, bleibt die Hand stecken und beim Rausziehen schrabt man sich die Haut auf bis es blutet.

Dann gibt es die Kästen, deren Schlitze sich nach innen öffnen. Das sind mir die liebsten, denn ich muss nur leicht dagegen drücken und der flyer macht seinem Namen Ehre und fliegt quasi hinein.

Manchmal sind die Öffnungen so schmal, dass ich den flyer einmal falten muss, damit er hindurch passt. Das ist natürlich äußerst clever, denn dicke Hochglanzwerbung hat da keine Chance. Einige von den Klappen sind dazu auch noch schwer zu öffnen, so dass mir heute der traurige der Gedanke kam, ob die Besitzer dieser Briefkästen vielleicht so wenig oder gar keine Post bekamen und die Scharniere deshalb schon einrosteten.

Die Kästen der Einfamilienhäuser sind noch etwas abwechslungsreicher in der Ausführung. Manche sind ganz schlicht, wie bei den Mehrfamilienhäusern auch. Nur die mit den Klappen nach innen, haben manchmal anstelle einer Innenklappe eine Rolle, die sich ein bisschen wie der Pelz eines Tieres anfühlt, wenn man sie berührt, aber mehr wie das Fell eines ziemlich toten Tieres. Schick find ich auch die senkrechten Briefschlitze, besonders, wenn sie sich auch noch nach innen öffnen lassen und natürlich ohne Innenklappe und ohne totes Pelztier von innen ausgestattet sind. Kommen wir nun zu den Schlitzen, die direkt in den Haustüren eingebaut sind. Meisten sind sie in der Mitte der Tür angebracht. Es ist dann leicht, den flyer hineinfallen zu lassen.( Es sei denn, scharfkantige Innenklappe, oder tote Pelztier.) Aber wirklich ganz gemein sind die Klappen weit unten an der Tür. Wer das erfunden hat, demonstriert ganz offensichtlich seine Verachtung für den Postboten oder für mich, die ich mich bücken muss mit einer Tasche voller flyer über der linken Schulter. Es ist demütigend, sich auf die Knie begeben zu müssen um die Wurfsendung durch den Schlitz zu knibbeln, denn oft stößt man bei diesen Klappen auch noch auf die pelzige Innenrolle, die den Sinn hat, dass niemand die Post von außen herausnehmen kann. Oder soll sie den Durchzug des Windes verhindern? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, es hat etwas von Demut und Unterwerfung, wenn man so auf den Knien hockt. Fehlt nur noch, dass ein Aufkleber mit der Aufschrift Werbung Nein Danke! an der Tür prangert, verbunden mit der leuchtendroten Hand, die ein schwarzes bedrohliches Stopp signalisiert oder dass ein Hund anfängt grimmig zu bellen, weil er in mir einen Eindringling ahnt.
Und ich denke: Wie sollen sich so meine Schwingungen erhöhen. Es ist erbärmlich!

Aber, Gott sei Dank!, gibt es ja auch noch die netten Kästen, die außerhalb an der Wand neben der Eingangstür angebracht sind. Klappe auf, flyer rein! Fertig!

Sehr angenehm sind auch die Briefkästen außerhalb des Grundstücks, direkt am Gartenzaun. Da muss man nicht so dicht an die Privatsphäre der Leute. Letztens musste ich so einen Kasten suchen, weil dass gesamte Haus umzäunt war wie Fort Knox, aber letztendlich habe ich ihn entdeckt und konnte einen weiteren flyer in eine Welt befördern, die wahrscheinlich meilenweit von der meinen entfernt ist.

So lasse ich überall ein Stück von mir zurück, und wenn es nur ein kurzer Gedanke ist.
Welcher auch immer.


Gabi Gayk

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